Entangled

2021/ Ausstellung /

Galerie Basement
mit Hannah Stippl

Das Jahresthema LAB 2020 beschäftigt sich zum einen mit künstlerischen Schaffensweisen die auf Erfahrung und systematisch gewonnen Daten beruhen, und zum anderen mit Entwicklung und Auslotung von Erfahrungswerten, prozesshaftem Arbeiten und der räumlichen Nutzung des gegebenen Raumes während eines selbstgesteuerten Zeitraumes durch die eng zusammen arbeitenden KünstlerInnen.

Der interessante und herausfordernde Aspekt dieses Jahresthemas ist nicht per se künstlerische Forschung zu betreiben, sondern die Schaffung von Kollaborationen zwischen Prozess und Wissenschaft, den kollaborativen Ansatz zwischen KünstlerInnen / KuratorInnen und ihr Streben nach einer räumlichen und konzeptionellen Nutzung des Raumes.

Für die letzte Ausstellung im Rahmen dieses Jahresthemas, die bereits im November 2020 stattfinden sollte, haben Elisabeth Falkinger und Hannah Stippl die gemeinsame Installation „Entangled“ entwickelt. Grundlage der Installation sind zwei Arbeiten, die im Jahr 2020 entstanden sind: Lockdown, Reisebeschränkungen und Unsicherheit, Covid-19 also, haben bereits die Entstehung dieser Arbeiten begleitet.

Elisabeth Falkingers „SCHOPPEN“ entstand im Sommer 2020 während eines Artist in Residence Aufenthaltes im Egon Schiele Art Centrum in Český Krumlov. Wie unter den Bedingungen von Social Distancing Kontakt aufnehmen? Mehr als sonst wird die Künstlerin zur Beobachterin und Spurenleserin. Erde, Sand, Stein, Humus, Pflanzen, Schlamm, alles Schichten, auf denen Abdrücke des flüchtigen Daseins zurückbleiben, flüchtig wie die zeichnerischen Gesten des Skizzierens auf Papier. Getunkt und eingetaucht, nehmen die Zeichnungen Sedimente auf, werden selbst Teil der Schichtungen.

Hannah Stippls Arbeit „Wie von der Erde sprechen“ ist im Frühling 2020 in Spanien entstanden. Im Zentrum steht die Beschäftigung mit Bruno Latours Analyse der Klimakrise in seinem Buch „Facing Gaia“. Fragen, die sie während des Corona-Lockdowns  wochenlang umkreist, bilden die Grundlage ihrer Arbeit. Was tun? Die Malerei wird zum Tagebuch einer eskalierenden Situation, einer Welt zwischen Schock und Panik.

Der Titel der gemeinsam erarbeiteten Installation „Entangled“ bezieht sich auf Charles Darwins berühmte Beschreibung einer Uferböschung:

“It is interesting to contemplate an entangled bank, clothed with many plants of many kinds, with birds singing on the bushes, with various insects flitting about, and with worms crawling through the damp earth, and to reflect that these elaborately constructed forms, so different from each other, and dependent on each other in so complex a manner, have all been produced by laws acting around us.”

— Charles Darwin: The Origin of Species. 1859

„Entangled“ wird in der deutschen Version von Darwins Text mit „dicht bewachsen“ übersetzt, doch die Bedeutung des Wortes ist umfangreicher: „Entangled“ kann man mit verwickelt, verwoben oder verschränkt übersetzen; „to entangle“ heißt umschlingen, verwirren, verfangen, sich verheddern, verstricken. Es beschreibt immer eine Form der engen, aber nicht leicht durchschaubaren und ambivalenten Verbundenheit. Darwin betrachtet das Uferdickicht mit einer Mischung aus Bewunderung, Scheu und Distanz. Als naiv-moderner Beobachter glaubt er sich in keiner Weise der Natur verbunden, über die er aber frei verfügen kann. Die zeitgenössischen Krisen zeigen das wahre Ausmaß dieses Irrtums. Mensch und Natur sind verbunden, six degrees of separation. Das betrifft die Beziehung zu einem Markt in Wuhan ebenso wie zu den Bäumen des Amazonas, den Enten der Moldau oder der Eisschmelze in Grönland. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen, ein in Texas achtlos weggeworfener Kaffeebecher kann diesen Schmetterling tödlich treffen. „Entangled“ heißt: Wir leben inmitten eines komplizierten Netzwerkes aus zahllosen Dingen und Lebewesen, verstrickt in die globalen Auswirkungen des Kapitalozäns, als dessen Abgesandter Darwin einst die Erde bereist hat.

Diese ununterscheidbare Vermischung von Natur und Kultur zu hybriden Objekten steht im Zentrum der Arbeiten von Elisabeth Falkinger und Hannah Stippl. Die gemeinsame Installation verschränkt die beiden Arbeiten zu einem undurchdringlich verwobenen Ganzen, abseits der weißen Wände. Bilder und Zeichnungen überlagern einander, sind nicht mehr als einzelne Objekte sondern nur als vielstimmiges Ganzes lesbar. „Entangled“ heißt hier verbunden, umschlungen und, nicht zuletzt, dicht bewachsen.

   

   

   

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos © Martin Rainer